…eine Annäherung an den Goldstandard

achtsam Kauen – schluckst du noch oder kaust du schon?

Gutes Kauen ist in zwei meiner Professionen – sowohl als Meisterin der Zahntechnik als auch als Ernährungscoach – ein gemeinsamer Nenner und somit habe ich beschlossen, mich ausführlicher mit dem Thema ‚achtsam Kauen‘ auseinanderzusetzen.
It tends to be epic, read on…

knusprige Süßkartoffelsticks mit veganer Majo und Petersilie
– genossen bei meinem jährlichen food meetup mit Freunden

Warum Du mit langem und ausgiebigem Kauen deinen Körper, Geist und deine Seele fit hältst, darüber werde ich in diesem Artikel einen Einblick geben.

Der Trend, mal eben schnell etwas zu essen einzuwerfen, ist ungebrochen.
Fast food – mittlerweile auch mit durchaus gesunden Lebensmitteln – ist allgegenwärtig. Doch die besten und gesündesten Zutaten, sind sie auch noch so natürlich, bringen Dir nichts, wenn Du sie nicht ausreichend und langsam genug kaust.

Der Spruch ‚Im Mund fängt die Verdauung an‘ ist eine alte Weisheit, die heute wichtiger ist, als je zuvor.

Der Darm hat seinen Anfang im Mund

Wie muss ich mir also die Verdauung vorstellen?
Dröseln wir den komplexen Prozeß zunächst ein wenig wissenschaftlich auf.

Zuächst gelangt ein Bissen Nahrung, der im Idealfall auch genügend Kaubares enthält, in den Mund.
Die Zunge schiebt den Bissen zu den Zähnen, der Kauprozeß beginnt.
Zeitgleich fangen die Speicheldrüsen an, Speichel zu produzieren, damit der Bissen nach und nach in einen Brei verwandelt wird.
Dabei werden Enzyme gebildet, die als Vorbereitung für die weitere Verdauung dienen.

Zum Beispiel wird Amylase produziert, um die Kohlenhydrate in der Nahrung aufzuspalten und so für dein Blut und den Transport zu den Zellen verfügbar zu machen.
Das ist der Grund, weswegen ein Stück Brot mit fortschreitendem Kauprozeß immer süßer schmeckt.

Wird nicht lange genug gekaut und es sind nicht genügend Enzyme gebildet worden, muss die Bauchspeicheldrüse einspringen und wird unnötig belastet.

Durch zu hastiges Essen und Kauen sind Verdauungsprobleme vorprogrammiert

Ein weiterer Pluspunkt für das lange und gründliche Kauen, ist die Tatsache, daß der Magen mit vermehrter Säurebildung die zu groben Nahrungsbrocken aufzulösen versucht, sodaß die Aufspaltung erfolgen kann.
Diese überhöhte Säurebildung übersäuert den gesamten Körper und seine Systeme.

Die Folge sind saures Aufstoßen, Völlegefühl, Magendrücken und Blähungen. Kennt jemand das Gefühl, sich nach zu schnellem und zuviel essen wie ein aufgeblähter Gasballon zu fühlen?
Ich schon *lach* – ich berichte hier durchaus von meinen eigenen Erfahrungen, wenn es mal soooo lecker war, dass ich zu schnell geschlungen habe.

Gut gekaut ist halb verdaut

Passiert dies oft oder ist es gar die Regel, kommt es zu Fäulnisbildung und es bildet sich ein idealer Nährboden für Parasiten und krankmachende Bakterien.
Außerdem können Giftstoffe leichter in den Körper freigesetzt werden.
Schlacken werden vermehrt in den Zotten und Schlingen des Darms eingelagert.

Diese eingelagerten Giftstoffe gleichen einer Mülldeponie, die schleichend deinen Körper vergiften und krank machen.
Das Immunsystem wird durch den Daueralarm, der durch die schwelende Entzündungsneigung herrscht, geschwächt.

Soviel erstmal im groben Überblick zu den chemischen Vorgängen des Kauens und der Auswirkung auf unseren Organismus.

Buddha Bowl vegan mit cremiger Cashewsahne und scharfem Wasabi –
tolle Gegensätze entfachen ein Geschmacksfeuerwerk

Achtsamkeit ist ein Schlüssel zum ‚Wohlfühlkauen‘

Anja Westerwinter

Widmen wir uns nun einmal den kulinarischen und ästhetischen Vorteilen des ausgiebigen Kauens.

Dabei fällt mir das alte Wort ‚Schmausen‘ ein. Ich finde es paßt hier sehr gut in den Kontext. Für mich vereint dieses Wort ‚Schmecken‘ mit ‚Kauen‘ und ‚Genießen‘. Und es entsteht unmittelbar ein Bild vor meinen Augen, auf dem jemand genüßlich mit verklärtem Blick sein Essen genießt.

Beobachte Dich einmal selbst.
Wie lange kaust Du einen Bissen, bis der Schluckreflex einsetzt, bzw. Du ihm nachgibst?
Das ist oft eine antrainierte Konditionierung, die auch wieder umprogrammiert werden kann.

Die meisten Menschen schlucken die Nahrung innerhalb weniger Sekunden und kaum zerkleinert herunter.
Oftmals in Eile, unbewußt und mit zusätzlicher Ablenkung durch Handy, Umgebungsgeräusche, Lesen, Gespäche, etc.

Dies ist dem Lifestyle des immer schnelleren Lebens in allen Bereichen geschuldet. Das Essen selbst darf kaum Zeit kosten, auch die Zubereitung soll möglichst schnell gehen und wird oft mit Slogans wie ‚besonders schnell fertig‘ oder ‚unter 30 Minuten Zeitaufwand‘ beworben.

Schnelle Sättigung ist erwünscht, damit die Taktung des täglichen Alltagsrhytmus möglichst nicht gestört wird und schnell wieder zur Produktivität übergegangen werden kann.
Essen und Genießen ist im Regelhaften Alltag in der westlichen Welt eher ein Störfaktor, der nur Zeit kostet und somit minimiert werden soll.

Schmausen ist der Start in eine neue Liebesbeziehung mit deinem Essen

Dieser gesamte Ablauf und die Vorstellung unserer Nahrungsaufnahme sind allerdings fundamental falsch.
Wir ticken heute noch genauso, wie zu Urzeiten.
Das heißt wir selektieren über langes Kauen die Nahrung zuerst gründlich auf Beschaffenheit und Eignung.
Denn über die Sensorik, die beim langen Kauen entsteht, sind wir in der Lage, Ungenießbares, Schädliches und Unbekömmliches auszusondern.

Auf diese Art und Weise haben wir uns vor Vergiftungen geschützt.
Das lange Kauen verändert mit der Zeit den Geschmack des Nahrungsbreies im Mund und so werden erst nach und nach versdchiedene Geschmacksnuancen freigesetzt.

Das heutige ‚Speedessen‘ ist ist nicht dazu geeignet, die wichtigen und elementaren Bestandteile in unserer Nahrung aufzunehmen, da wir dem Körper gar nicht erst die Möglichkeit dazu geben.
Selbstverständlich ist die Voraussetzung, daß unser Essen überhaupt gesunde, lebensnotwendige und verwertbare Bestandteile sowie Mineralien, Vitamine und Spurenelemente enthält.
Das ist jedoch ein anderes Thema, welches einen eigenen Artikel wert ist.

Halten wir also fest:
Langes Kauen ermöglicht es erst, die Nahrung umfassend zu verwerten.
Andernfalls scheiden wir alles ungenutzt wieder aus, was ebenfalls zu Magen-Darm Problemen führt. Kurz- oder langfristig.

Probiere es selbst einmal aus:

Am Anfang eignet sich sehr gut einfach ein trockenes Stück Brot.
Du wirst feststellen, daß je länger du den Bissen kaust, desto süßer wird er schmecken. Durch das Kauen werden die Kohlenhydrate von den Enzymen im Speichel in Zucker umgewandelt.
Experimentiere gerne auch mit anderen Lebensmitteln und lerne eine neue Geschmacksvielfalt kennen.

Jetzt denkst du vielleicht – ‚what‘? Kauen lernen? Das mache ich doch schon, seit ich Kleinkind war, das kann ich 😉
Doch durch Hektik, Streß, schlechte Angewohnheiten, etc. hat sich schleichend und unbewußt ein falsches und ungesundes Eßverhalten etabliert.

Die gute Nachricht – das kannst du auch wieder ändern.

Wieder bewußt und achtsam essen ist am Anfang vielleicht etwas ungewohnt und anstrengend aber es lohnt sich auf lange Sicht und du kannst dich über viele positive Side Effekts freuen.

Guacamole mit Edamame, Schafskäse und Brunnenkresse auf Sauerteigbrot – ein himmlischer Genuß

Step by Step zum neuen Kauen – es geht los

  1. Such dir einen Ort, wo Du dich wohlfühlst, der ruhig ist und ohne Lärmbelästigung. Ideal ist es an der frischen Luft. Setze Dich aufrecht hin, am besten an einen Tisch und weite deine Brust.
  2. Nimm eine Portion auf (gerade soviel wie auf ein Eßlöffel paßt, damit der Speichel während des Kauens überall hingelangen kann).
  3. Bevor du den Bissen in den Mund steckst – rieche daran. Alleine diese Übung hilft Dir im Moment zu bleiben.
    Du wirst ebenso feststellen, daß du mit der Nase bereits sehr viele Aromen wahrnimmst, die du später eventuell auch schmeckst.
    Außerdem bereitest du so auch dein Gehirn auf die Ausschüttung der Enzyme für die Verdauung vor.
  4. Jetzt schiebe den Löffel in den Mund und fange an langsam und sinnlich zu kauen. So können deine Geschmacksknospen alle Nuancen und Aromen aufnehmen.
  5. Kaue mindestens 30-60 Sekunden. Gerne auch länger, wenn du magst.
    Am Anfang ist das schon eine große Herausforderung.
    Vielleicht beginnst du mit 20 mal Kauen und steigerst dich dann mit der Zeit auf über 50. Je nach Beschaffenheit des Essens.
  6. Iß bewußt. Kein Lesen von Zeitschriften, Mails, Büchern und Newsfeeds nebenbei. Vermeide ebenso Videos.
    Bleib ganz bei Dir und deinem Eßvergnügen.
    Am Anfang, bevor sich dein neues Eßverhalten eingeprägt hat, ist es ebenso sinnvoll, alleine zu essen, ohne nebenbei Gespräche zu führen.
  7. Achte auch darauf, erst zu schlucken, wenn der Bissen sich zu einem Brei verwandelt hat.
    Also nach ca. 30 Sekunden oder länger.

    Optional:
    Mit spitzen Lippen etwas Wasser zu Nahrungsbrei hinzusaugen. Durch das Ziehen des Wassers entsteht ein Unterdruck im Mundraum, der die Speicheldrüsen anregt.

    Das ist allerdings nicht unbedingt nötig und individuell verschieden, ob man das mag.
    Ich bevorzuge das Trinken vom Kauvorgang zu trennen und nehme gerne zwischen den einzelnen Bissen einen Schluck Wasser -oder auch Wein- zu mir.
    Somit bleibt für mich der Geschmack des Essens intensiver.


Neben dem reinen Kauvorgang, spielt auch der eigene Gemütszustand und wie ich mich beim Essen fühle, eine große Rolle beim Essen und dessen Verwertung.
Deshalb sind auch folgende Punkte wichtig:

  • Iß nur in seelisch guter Verfassung. Vermeide es zu essen, wenn du dich ärgerst oder traurig bist.
    Weil Groll, Ärger und negative Gefühle beeinträchtigen deine Verdauung.
    Jede noch so gesunde Nahrung wird durch negative Verstimmung in Ihrer Qualität für dich beeinflusst. Die Psyche spielt bei der Verwertung deines Essens eine maßgebliche Rolle.
    Der Spruch ‚Liebe geht durch den Magen‘ hat seine Berechtigung 😉
  • Warte mit dem Essen, bis Du wieder positiv gestimmt bist und an etwas Schönes denken kannst.
    Mach vielleicht eine kleine Atemübung und atme tief ein und aus.
    Mehrmals hintereinander und entspanne dich.
  • Iß zum richtigen Zeitpunkt. Das bedeutet, Du solltest wach genug sein und nicht übermüdet.
  • Achte auf dein Hungergefühl und iß nur dann, wenn Du auch wirklich hungrig bist. Nicht zu verwechseln mit Appetit.

Es gibt heute viele Menschen, die gar kein echtes Hungergefühl mehr kennen. Durch das ständige Essens(über)angebot und die Möglichkeit, ständig essen zu können, haben wir es verlernt, wie sich Hunger anfühlt.

Elementar, um dies wieder zu lernen, sind ausreichend lange Pausen zwischen den Mahlzeiten. Mindestens 4 -6 Stunden sind sinnvoll, dem Körper Zeit zum Verdauen zu geben und er sich erholen kann. So vermeidest Du Völlegefühl, Verstopfung, Schlackenbildung mit Fäulnis und Gärung.

Das intermittierende Fasten ist ebenso eine heilsame Methode, sich selber wieder zu spüren und achtsam mit dem Körper umzugehen.
Ein schöner Nebeneffekt für manche ist eine leichtere Gewichtsabnahme. Auch bereits bestehende Verdauungsbeschwerden können von selbst verschwinden.

Achte wieder mehr auf die Signale und erhalte Dir deine Gesundheit.
Wichtig ist es seiner Intuition und der eigenen Wahrnehmung zu trauen.
Jeder Körper reagiert anders auf die oben beschriebenen Leitsätze.
Schenke Dir die Aufmerksamkeit und Zeit, die dein Körper braucht, um sich an die neuen Gewohnheiten anzupassen, damit sie sich etablieren können.

Neue Gewohnheiten zu installieren gelingt mit Hilfe der Hypnose sehr wirkunsvoll.
Weil es dann leichter wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

  • das Sättigungsgefühl tritt immer erst nach ca. 15-20 Minuten ein, egal wieviel wir in dieser Zeit gegessen haben
  • gründliches Kauen schont die Bauspeicheldrüse, entlastet die Verdauungsorgane und beugt kurzfristig Sodbrennen, Magenschmerzen, Völlegefühl und Verstopfung vor. Langfristig lassen sich chronische und ernsthafte Krankheiten vermeiden
  • hilft beim Abnehmen
  • trainiert die Achtsamkeit gegenüber deinem Körper
  • eröffnet dir neue Geschmackswelten und sensibilisiert dich für gesundes, natürliches und unprozessiertes Essen
  • du baust dir durch das langsame und gründliche Kauen medidative Ruheoasen in deinem Alltag ein
  • mehr Genuß

Ich freue mich, daß Du es bis hierhin geschafft hast zu lesen und hoffe, daß ich dich für das langsame Essen und gründliche Kauen zu begeistern.
Hier habe ich auch noch ein Rezept für ein ‚Chewsie‘ – das ist mein Smoothie, der auch gekaut werden muss, weil er feste Bestandteile wie Nüsse, Samen, etc. als Topping mitbringt.

Auf alle Fälle soll deine Freude und der Genuß am Essen natürlich im Vordergrund stehen. Das Zählen der Kauvorgänge dient am Anfang der Transformation zum Genießer und Sloweater zur Bewußtwerdung deiner Eßgewohnheiten. Hat sich dein neues Eßverhalten erst etabliert, wirst Du automatisch langsamer essen und die Benefits daraus nicht mehr missen wollen.

Ich wünsche euch viel Freude beim Entdecken des ‚Wohlfühlkauens‘ und
vor allem joyfully eating mit viel Genuß!

Matchalatte mit Hafermilch for Chilltime